10. Juli 2024 | Autoren: Maren Fichtner & André Nimtz | Lesezeit: ca. 17 Minuten
Drei grundlegende Fragen zum Thema Individualsoftware
Was ist Individualsoftware?
Der Name sagt eigentlich schon alles: Individualsoftware oder auch individuelle Software ist eine für einen bestimmten Anwender bzw. Anwendungszweck entwickelte Software. Sie ist exakt auf die technischen, organisatorischen und funktionellen Anforderungen des jeweiligen Auftraggebers zugeschnitten.
Wie entsteht Individualsoftware?
Die Entwicklung einer Individualsoftware kann durchaus in Eigenregie innerhalb des Unternehmens erfolgen. Oftmals kommen aber Softwareentwickler spezialisierter Unternehmen oder Freelancer an Bord – vor allem, wenn inhouse die Umsetzungsexpertise fehlt. Auch ein Mix aus den einzelnen Gruppen ist denkbar und sinnvoll.
Arbeiten Sie mit Externen zusammen, schließen Sie für die Umsetzung der individuellen Software entweder einen Werkvertrag oder einen Dienstvertrag ab. Beim Werkvertrag arbeitet das Entwicklungsteam ergebnisorientiert. Das heißt, die Entwickler schulden Ihnen ein fertiges Werk, das Sie nach Abnahme vergüten. Beim Dienstvertrag arbeiten die Entwickler hingegen tätigkeitsorientiert und schulden Ihnen die Tätigkeit der Entwicklung. Vergütet wird nach Aufwand.
Wem gehört eine Individualsoftware?
Ist die individuelle Software fertig, gehört sie dem Auftraggeber – also Ihnen. Das hat den Vorteil, dass Sie nicht vom Wohl und Wehe einer Entwicklerfirma abhängig sind. Allerdings sollten Sie bedenken, dass Softwarebetrieb und -pflege vertraglich sichergestellt sein sollten oder Sie inhouse die entsprechende Expertise aufbauen müssen.
Standardsoftware – oder auch Standardanwendung bzw. Paketsoftware – bezeichnet ein vorgefertigtes und marktreifes Produkt, das für eine möglichst große Anwenderzahl entwickelt wurde.
Eine Standardsoftware bringt einen großen Funktionsumfang mit, der die grundlegenden Bedürfnisse eines Großteils der Kunden abdeckt. Individuelle Kundenwünsche finden hier allerdings keine Berücksichtigung.
Eine Standardsoftware ist überall dort sinnvoll, wo standardisierte Prozesse vorliegen bzw. sich das Unternehmen leicht an die Software anpassen kann.
Beispiele finden sich in der Buchhaltung, im HR oder im CRM. Oder ganz konkret: Denken Sie an Microsoft Office mit Excel, PowerPoint und Co. oder an die Google Suite oder Salesforce.
Die hybride Lösung
Wenn eine Standardlösung schon nah dran ist und eine Individualsoftware zu viel Aufwand bedeuten würde, stellen hybride Ansätze eine gute Alternative dar – vorausgesetzt, die Standardsoftware bringt Möglichkeiten zu Individualisierung mit.
Ist dies der Fall, können Sie auch eine Standardsoftware in gewissen Maßen an Ihre individuellen Anforderungen anpassen und erweitern. Das kann zum Beispiel durch die modulare Erweiterung der Software geschehen. Verfolgt die Software einen Low-Code-Ansatz, ist sogar eine eigenständige Anpassung der Anwendung ohne tiefere Programmierkenntnisse möglich. Somit profitieren Sie von den Vorteilen der Standard- und der Individualsoftware.
Ein Beispiel für eine solche modular erweiterbare Standardsoftware mit Low-Code-Ansatz ist unser Werkerassistenzsystem weasl.
Individualsoftware oder Standardsoftware, das ist hier die Frage. Und die allseits beliebte Antwort lautet: Es kommt darauf an. Standardsoftware ist nicht immer schlecht oder hätten Sie Interesse daran, Excel nachzubauen, nur weil es dann besser zum Unternehmen passt? Beide Softwaretypen haben Vorteile und Nachteile, die wir Ihnen in der folgenden Tabelle aufzeigen wollen.
Individualsoftware | Standardsoftware | |
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Allgemeines | ||
Funktionsumfang |
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Einsatzzweck |
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Akzeptanz / Benutzerfreundlichkeit |
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Einführung im Unternehmen |
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Abhängigkeit vom Softwareanbieter |
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Wettbewerbsfähigkeit |
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Kaufmännische Faktoren | ||
allgemeine Kosten |
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Lizenzkosten |
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Erwerb |
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Technische Faktoren | ||
Anpassungen |
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Integration |
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Installation |
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Verfügbarkeit |
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Dokumentation |
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Schnittstellen |
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Support und Services | ||
Schulung |
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Support |
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Update / Release |
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Community |
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Datenschutz |
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Stellen Sie sich vor, Sie haben einen ganz konkreten Anwendungsfall aus Ihrem Produktionsalltag und finden dafür partout keine passende Softwarelösung. Das ist wahrscheinlich der klassische Moment, in dem eine Individualsoftware die sinnvollste oder gar einzige Lösung ist. Aber auch in anderen Szenarien sollten Sie von vornherein die Möglichkeit einer individuellen Softwareentwicklung mitdenken.
Eine Individualsoftware könnte die optimale Lösung sein, wenn
die Anforderungen, Prozesse oder Eigenheiten Ihres Unternehmens zu speziell oder komplex für eine Standardsoftware sind
eine Standardsoftware zu mächtig und teuer für den gedachten Anwendungsfall ist
die Kosten einer Individualsoftware langfristig niedriger als die einer Standardsoftware sind
Sie einen Vendor-Lock-in und Abhängigkeiten von Softwareanbietern vermeiden möchten
Sie sich einen Wettbewerbsvorteil gegenüber Mitbewerbern durch bestimmte Funktionalitäten, Flexibilität und Stabilität verschaffen möchten
Sie digitale Angebote für Endkunden bereitstellen möchten
Sie Insellösungen abschaffen oder einzelne Softwarelösungen vereinheitlichen möchten
Unnötige Informationen, viel zu viele Menüpunkte, Buttons mit unintuitiven Botschaften – dass die Usability bzw. Nutzerfreundlichkeit einer Standardsoftware zu Ihren Abläufen und Gewohnheiten passt, dürfte eher die Ausnahme sein. Mit einer Individualsoftware haben Sie sie Möglichkeit, genau dem vorzubeugen. Stattdessen präsentieren Sie den Endanwendern eine Software, die auf die Nutzergewohnheiten der Zielgruppe hin optimiert ist.
Sie definieren, was genau zu einer intuitiven Nutzeroberfläche gehört und was nicht. Und die Profis aus der Softwareentwicklung übersetzen das Ganze dann in ein nutzerfreundliches Interface. Das Ergebnis: Ihre Mitarbeiter arbeiten sich schneller in die Software ein und müssen deutlich weniger geschult werden. Das steigert letztendlich auch die Akzeptanz der Software, da die Anwender exakt das bekommen, was sie im Alltag benötigen.
149,99 Euro pro Lizenz und Monat. Das ist natürlich Unsinn, denn eine exakte Kostenangabe hängt von einer großen Bandbreite an Bedingungen ab. Allerdings haben Sie bei der individuellen Softwareentwicklung die Möglichkeit, die Kosten in gewissen Maßen selbst zu steuern. Achten Sie dafür auf kostensenkende und kostenerhöhende Faktoren:
Kostensenkende Faktoren
- Integrieren Sie nach Möglichkeit eigene Softwareentwickler in den Entwicklungsprozess. Das kann Personalkosten sparen und die Dokumentationsaufwände verringern.
- Prüfen Sie, ob Betrieb und Support von Ihrer eigenen IT abgedeckt werden können.
- Kategorisieren Sie die erforderlichen Funktionalitäten nach Muss-, Soll- und Kann-Kriterien.
- Profitieren Sie von kürzeren Fehlerbehebungszyklen und damit durchgängigerer Verfügbarkeit.
- Bestimmen Sie über die Technologieauswahl und senken Sie dadurch die Lizenzkosten.
- Bestimmen Sie über die konkrete Anzahl der Benutzer und Arbeitsplätze.
Kostenerhöhende Faktoren
- Unterschätzen Sie nicht den Entwicklungszeitraum und -aufwand bzw. vertrauen Sie den Einschätzungen der Experten. Müssen z.B. Teilergebnisse schneller als empfohlen geliefert werden, schleichen sich Fehler ein, die zusätzliche Aufwände erzeugen.
- Falsch priorisierte Anforderungen können die Kosten steigern. Evaluieren Sie deshalb alle Anforderungen im Vorfeld und sprechen Sie regelmäßig mit den Endanwendern.
- Ungeplante Change Requests oder Änderung der Aufgabenstellung sind wahre Produktivitäts- und Budgetkiller.
- Eine falsche Technologieauswahl bzw. Änderungen der Systeme und Werkzeuge während des Entwicklungsprozesses lassen Kosten schnell explodieren.
- Auch die Wahl des Entwicklungspartners ist entscheidend. Setzen Sie aufs falsche Pferd, ist der Projekterfolg fraglich.
Projektauslöser erkennen
Scrollen Sie noch einmal nach oben zum Kapitel „Wann ist Individualsoftware sinnvoll“. Hier finden Sie einige der häufigsten Projektauslöser.
Haben Sie einen davon in Ihrem Unternehmen erkannt? Dann geht’s weiter mit Schritt 2.
Interne Anforderungsaufnahme mit allen Stakeholdern
Nehmen Sie alle Anforderungen auf und formulieren Sie sie aus.
Unsere Empfehlung: Schreiben Sie kein Lasten- und Pflichtenheft, denn oftmals erzeugt es bei Ihnen nur Zeitaufwand, vermittelt aber nur ein unzureichendes Bild mit vielen offenen Fragen. Bitten Sie den Entwicklungspartner stattdessen um einen Anforderungsworkshop oder ein direktes, detailliertes Gespräch.
Auswahl des Entwicklungspartners
Suchen Sie nach einem passenden Partner und achten Sie dabei auf das passende Leistungsportfolio, auf Branchenerfahrung, Kundenfeedback, eine offene und ehrliche Kommunikation, Transparenz und ein passendes Zusammenarbeitsmodell (z.B. regelmäßige Projektupdates in gemeinsamen Meetings).
Anforderungsworkshop
Starten Sie mit der gemeinsamen Aufnahme der relevanten Systemanforderungen, des IST-Zustandes und der Zielbeschreibung. Betrachten Sie bereits hier ggf. Downsizing-Möglichkeiten, Architekturoptionen und technische Umgebungsbedingungen.
Umsetzungsprojekt
Sind die Details und Schritte klar und alle Anforderungen definiert, kann das Projekt starten.
Unsere Empfehlung: Setzen Sie auf ein agiles Vorgehen, z.B. nach SCRUM. Ihr Projekt wird dabei in 2-wöchigen Sprints vorangetrieben. In einem iterativen und inkrementellen Softwareentwicklungsprozess werden die Stakeholder kontinuierlich einbezogen, Feedback direkt aufgenommen und Anpassungen umgesetzt.
Konsolidierung und Finalisierung
Nach der Umsetzung kommt die Stunde der Wahrheit mit Ihren Endanwendern.
In ausgiebigen Test-Session prüfen die Nutzer die Individualsoftware auf Herz und Nieren, nehmen eventuelle Fehler auf und geben essenzielles Feedback, um die Qualität der finalen Software sicherzustellen.
Go-Live
Wenn alles passt, kann die Software in die Zielumgebung eingeführt werden. Mit dem Go-live erhalten Sie zudem die technische Dokumentation der individuellen Softwarelösung.
Zusätzliche Angebote
Nutzen Sie zusätzliche Angebote Ihres Entwicklungspartners, besonders im Hinblick auf Anwender- und Entwicklerschulungen. So können Ihre Anwender valide in der Nutzung der Software ausgebildet und Ihre eigene IT für Softwarebetrieb und -pflege geschult werden.
Individualsoftware Beispiel 1: Prozessoptimierung bei Kuraray
Der Anwendungsfall:
Unser Kunde Kuraray – ein führender Hersteller von Kunststoffgranulaten – suchte nach einer Lösung für die Digitalisierung manueller Arbeitsschritte bei gleichzeitiger Beseitigung von Medienbrüchen.
Die Lösung:
Nach der Anforderungsaufnahme und Konzeption stellte sich die IoT-Plattform ThingWorx von PTC als optimales Basissystem für den vorliegenden Anwendungsfall und für künftige Erweiterungsvorhaben heraus. Auf Basis von ThingsWorx entwickelten wir eine Individualsoftware zur Digitalisierung manueller Arbeitsschritte während der Abfüllung von Granulaten in der Kunststoffherstellung. Wir integrierten sowohl Messwarte und Abfüllstationen als auch SAP und LIMS und banden externe Systeme an.
Der Nutzen:
Für Kuraray ermöglichte die individuell entwickelte Softwarelösung nachweislich effizientere Arbeitsprozesse. Kuraray konnte die „Zettelwirtschaft“ aus der Abfüllstrecke verbannen und arbeitet hier fortan papierlos. Das Ziel, Medienbrüche innerhalb der Produktion zu beseitigen, wurde zu 100 Prozent erreicht.
Individualsoftware Beispiel 2: Zustandsüberwachung bei Schlötter
Der Anwendungsfall:
Der Galvanik-Spezialist Schlötter strebte ein Maschinenportal an, in dem die Prozess- und Labordaten von Anlagen erfasst und nutzerfreundlich präsentiert werden. Dieses Portal sollte neue Serviceangebote ermöglichen.
Die Lösung:
In einer individuellen Softwareentwicklung setzten wir für Schlötter ein Maschinenportal mit Funktionen wie der Verwaltung von Laborwerten galvanischer Bäder und der OEE-Kennzahlenberechnung um. In diesem Portal werden Maschinen- und Prozessdaten der Galvanik-Anlagen (z.B. Temperatur und Storm) erfasst, chemische Analysen verwaltet und relevante Sicherheitsdatenblätter abgelegt.
Der Nutzen:
Mit dem Maschinenportal verfügt Schlötter nun über eine Single Source of Truth pro Anlage. Die detaillierte und kontinuierliche Analyse ermöglicht eine deutliche Verbesserung der Produktionsprozesse und eine Optimierung der kundenseitigen Bäder-Chemie. Die Zustandsüberwachung der Anlagen führt zu einer nachhaltigen Wartungsoptimierung und auch die eigenen Service- und Sales-Mitarbeiter werden durch das Maschinenportal unterstützt.
Individualsoftware Beispiel 3: Werkerterminal für TURCK
Der Anwendungsfall:
Unser Kunde TURCK ist spezialisiert auf industrielle Automation und suchte seinerseits nach einer einheitlichen Lösung zur Erfassung von Rückmeldungen und Aktivitäten aller Arbeiter.
Die Lösung:
Auf Basis von ThingWorx entwickelten wir mit TURCK ein nutzerfreundliches und übersichtliches Werkerterminal. Dazu nutzen wir ThingWorx als Datendrehscheibe zur Integration von Systemen wie SAP, DMS und QMS. Die erfassten Daten werden aufbereitet und als arbeitnehmerrelevante Informationen und Services auf mobilen und stationären Endgeräten ausgegeben.
Der Nutzen:
Für TURCK ergab sich durch das Werkerterminal eine signifikant höhere Transparenz und Nachvollziehbarkeit über alle Aufträge und gestarteten Vorgänge. Für die Arbeiter ist nun eine schnelle und einfache Mengen- und Qualitätsmeldung während der Produktion möglich. Zusammen ermöglicht dies eine deutlich höhere Prozesssicherheit und einen optimierten Ressourceneinsatz.
Fazit
Individualsoftware vs. Standardsoftware – das ist eigentlich gar nicht die Frage. Standardsoftware wie SAP, Excel und Co. haben ihre konkreten Einsatzgebiete und laufen auch nicht Gefahr, durch individuelle Lösungen ersetzt zu werden. Aber dort, wo besondere Anforderungen vorliegen, Standardsoftware zu mächtig oder teuer ist oder Insellösungen verschwinden sollen, dort hat die Individualsoftware ihre Bühne.
Eine individuelle Softwarelösung ist passgenau auf Ihren Bedarf zugeschnitten, offener für (eigene) Weiterentwicklungen und im Bestfall auch deutlich nutzerfreundlicher. Mit Individualsoftware setzen Sie jeden noch so spezialisierten Anwendungsfall um. Sie benötigen nur einen Impuls, die Zuarbeit der Anwender und einen fähigen Umsetzungspartner.
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